Ich begleite Stefan und Jonas, zwei junge Ärzte/Notfallsanitäter von den Medical Volunteers International e.V., bei ihrer nächtlichen Tour zu Geflüchteten rund um Velika Kladuša. Die beiden sind gut vernetzt und bekommen immer wieder Informationen über medizinische Leiden und Notfälle. Mit einfachsten Mitteln aber ganz viel Herzblut, geben sie Hunderten Menschen die medizinische Versorgung, die ihnen sonst niemand gewährt.
Die erste Station ist ein zusammengeschustertes Zelt, in dem 5 junge Männer aus Pakistan leben. Zwei von ihnen haben mehrere, durch brutale Pushbacks an der kroatischen Grenze, gebrochene Knochen. Durch die späte Behandlung wird S. 2 Finger seiner rechten Hand nie wieder richtig bewegen können. Danach laufen wir zu einer verlassenen Fabrikhalle, in der ein einzelner Mann aus Afghanistan lebt. Auf dem Weg über die matschige Wiese zum Hangar warnt mich Stefan: „Lauf achtsam und bewege dich nicht weiter, wenn es unter deinem Fuß klickt. Wegen der aus dem Krieg verbliebenen Landminen.“ Obwohl ich wahrscheinlich nur einmal hier entlang laufen werde, ist die Angst erdrückend. Welchem Risiko sind die Menschen ausgesetzt, die jeden Tag diesen Acker überqueren…
Wir erreichen die Halle und M. öffnet die verrostete Tür einen kleinen Spalt. Während der Behandlung bietet er uns Tee an. Eigentlich haben wir keine Zeit zu bleiben, aber Stefan entscheidet, der Einladung zu folgen, weil M. seit fast zwei Jahren hier isoliert lebt und eigentlich psychologische Betreuung bräuchte. Mit Hilfe des Google Übersetzers erzählt er mir seine Geschichte, die mir an die Nieren geht. Er ist 22, so alt wie meine beiden Kinder, kommt aus Afghanistan und ist von dort nach der Ermordung seiner Eltern geflohen. Ich frage ihn, wie lange er auf der Flucht ist – 7 Jahre. Ich realisiere, dass er sich mit 15 Jahren auf die Flucht begeben hat. Mit 15!!! Die Leere in seinen Augen lässt erahnen, was er in dieser Zeit durchgemacht haben muss. In den knapp zwei Jahren hier in Bosnien hat er über 20 Mal versucht, europäischen Boden zu erreichen. Jeder Versuch scheitert, mehrere Male wird er brutal auf der kroatischen Seite zusammen geschlagen und nach Bosnien zurück geschickt. Ich frage, was er sich am sehnlichsten wünscht. Er antwortet: FRIEDEN!
Emotional berührt fahren wir zum nächsten Spot, an dem ca. 15 Algerier leben. Jonas versorgt hier einen 25jährigen Mann, der von bosnischen Behörden ins Gefängnis gesteckt wurde, welches während seines Aufenthaltes abbrannte. Sein gesamter Körper ist mit Brandwunden 3. Grades übersät. Normalerweise müssten solche Wunden mit einer Physiotherapie und dermatologischen Intensivbehandlungen versorgt werden. Das gilt nur leider in Bosnien nicht für Geflüchtete. Auf der Fahrt zum nächsten Patienten erzählt mir Stefan, dass dieser nach seiner Vermutung an Blutkrebs erkrankt ist, er es aber nicht nachweisen kann. Weder Laborwerte noch Ultraschall oder MRT-Auswertungen können zur Diagnose genutzt werden. Die Hilflosigkeit und Betroffenheit beider Mediziner steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Noch weitere Patienten werden angefahren und behandelt bis in der Nacht die Tour beenden. Ich bin aufgewühlt, bekomme die Schicksale nicht aus dem Kopf und frage mich, wie wir es eigentlich in Europa mit unserem Gewissen vereinbaren können, Menschen derart zu behandeln, sie zu entrechten, ihnen die Würde zu nehmen. Ich verabschiede mich von Jonas und Stefan und bin tief beeindruckt vom Einsatz dieser beiden jungen Männer. Für mich sind das die Helden unserer Zeit.
Um diese wichtige Arbeit zu unterstützen, haben wir für die Teams von MVI zwei mobile Ultraschallgeräte im Wert von 6.000 Euro bestellt und liefern sie in der kommenden Woche nach Bosnien und Thessaloniki, in der Hoffnung, damit bei dieser so wichtigen Arbeit helfen zu können. Du willst uns helfen, für mehr Menschen in Bosnien medizinische Versorgung zu ermöglichen? Dann spende jetzt!
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