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An der EU-Außengrenze: 7 Tage Chios -Tag 4: Gesundheitsversorgung für alle?

    Das Lager Vial ist eine stinkende Kloake, die Hölle auf Erden. Der Kontrast zum nahen Strand mit Tourist*innen ist nicht auszuhalten, Pech und Schwefel im Gegensatz zu Gold und Silber, das pralle Leben im Gegensatz zum Hinvegetieren. Die Gemeinsamkeit ist, dass es alles Menschen sind. Die notdürftigen Zelte stehen zwischen Urinbächen, überall liegt Müll herum, es stinkt fürchterlich. Beim Lagereingang weht bezeichnenderweise die Fahne des Menschenrechtsverletzers Europäische Union, es erscheint mir wie ein zynischen Zeichen des Wächters an der Höllenpforte. Wir stehen mit unserem kleinen Auto am Lagereingang um eine Frau ins Krankenhaus zu fahren. Transporte ins Krankenhaus müssen die Geflüchteten selbst bezahlen und organisieren, ein Taxistand einige Gehminuten entfernt wartet auf Kundschaft. Miriam hatte deshalb die Fahrt angeboten.

    Nach einigem Warten erscheint die Frau am Lagereingang, eskortiert von Krankenpfleger*innen. Sie ist aus Afghanistan und hat schwere Unterleibsblutungen, sie ist im 5. Monat schwanger. Wir rücken zusammen, ich fahre, ein lokaler Freund lotst uns durch die schmalen Gassen, eine deutsche Ärztin passt auf die junge Frau auf. Angst macht mich ruhig, sie ist aber trotzdem da. Ich habe Erinnerungen an Sea-Watch. Miriams Hand liegt auf meinem Rücken und das tut gut. Die Klimaanalage macht die Innentemperaturen angenehm, es geht der Frau aber nicht gut, sie hat offensichtlich schlimme Schmerzen.

    „Fahre langsamer“ zischt mich Miriam plötzlich an „Lieber 2-3 Sekunden länger, aber dafür nicht so die Schlaglöcher mitnehmen“. Ok, ich gebe mein Bestes. Nach ungefähr 20 Minuten Fahrt durch die engen Gassen sind wir am Krankenhaus angekommen. Ein sichtlich unfreundlicher Sicherheitsmensch mustert uns misstrauisch. „Was wollt Ihr hier?“ fragt er. Unser Freund versucht es zu erklären, auch dass sie angemeldet ist, und es wirklich dringend wäre. Irgendwann übernimmt Miriam. „Sie blutet!“ sagt Miriam im scharfen Ton. Der Wärter fragt weiter misstrauisch „Wo denn?“ Miriam sagt “Vagina!“. Der unfreundliche Typ ist nun ruhig und lässt uns durch. Schließlich kommt eine Ärztin und fragt im rauhen Ton was los wäre. Wir erklären, was los ist. Die Notärztin sagt, sie würden sich kümmern und wir sollen gehen. Miriam überlegt noch, ob wir dableiben….

    Am nächsten Tag sind wir wieder im lokalen Inselkrankenhaus, wir wollen wissen, was mit der Frau passiert ist. Man schickt uns von A nach B, quer durchs Krankenhaus, niemand will wissen, was mit der Frau geworden ist. „Wir haben hier jede Menge kranke Menschen, was wollen Sie von uns?“ werden wir abgewiesen. Mittlerweile scheinen wir angekündigt zu sein. Als wir in die Hebammenstation kommen, sagt eine rundliche Schwester noch bevor wir einen ersten Buchstaben nennen „Sie ist nicht hier, ihr könnt die Zimmer kontrollieren“. Miriam lässt nicht locker. Ihre Stimme verrät mir, dass sie sauer wird „Was ist mit ihr geworden? Wir haben Sie gestern hier abgegeben!“ Die sichtlich gestresste Krankenschwester meint, sie wäre zurück im Lager Vial. Mit Unterleibsblutungen, schwanger? Schließlich kramt die Krankenschwester in irgendwelchen Akten herum, und kommt mit einer Mappe in griechischer Schrift wieder. Miriam schaut drauf und meint „Das ist nicht die richtige Akte, hier steht das falsche Datum“. Die jetzt wirklich genervte Krankenschwester meint, wir sollen morgen früh wiederkommen, da wäre eine Ärztin da….

    Ein Tag auf Chios, ein Tag in Vial. Es gibt kein gleiches Leben in Europa, weiße Haut zählt mehr als dunkle. Und als Mensch auf der Flucht hast Du nicht das gleiche Recht auf Gesundheitsversorgung, Wasser, Essen, Unterkunft, nicht auf das Mindeste, dir soll es schlecht gehen.

    Als wir frustriert das Krankenhaus verlassen, sagt unser Freund „Denkt nicht darüber nach. Dann werdet ihr verrückt. Ich kann den Job nicht machen, wenn ich nachdenke. Lieber nicht nachdenken!“ – Wir wissen nicht, ob wir das hinbekommen.

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