„Mama Anela…wir brauchen Schuhe!“ sagt ein mit Flip-Flops herumlaufender Mann bei minus 3 Grad zu der reizenden, bosnischen Aktivistin Anela von der italienischen Hilfsorganisation IPSIA. Sie zeigt auf mich und sagt: „Das ist der Mann, der euch 1.000 Schuhe kauft!!!“ Mir ist das Ganze etwas peinlich, ich winke ihm zu, also die Rolle des Wohltäters ist nicht ganz so meine.
Das Lager Lipa war die letzten Tage in den Schlagzeilen, besonders nach dem Brand kurz vor Weihnachten. Es ist immer noch nicht klar, wieso es gebrannt hat und ob es Brandstiftung von wem auch immer war. Ein bosnischer Regionalminister hat vor kurzem öffentlich gesagt, dass es wohl nicht die Geflüchteten gewesen wären… Was aber klar ist: Das Lager liegt irgendwo im Nirgendwo, etwas über 20 km von der Stadt Bihać entfernt. Was auch klar ist: Es ist ein verdammt kalter Platz mit viel Schnee, es gibt keine Duschen, seit heute ein paar Dixieklos. Es ist kälter als in Velika Kladuša, morgen sollen –8 Grad werden. Der Vergleich mit Moria 2 (Kara Tepe) drängt sich auf. Weder sollte ein stürmischer Truppenübungsplatz am Meer noch ein verschneiter Höhenzug Platz für ein Flüchtlingslager für traumatisierte Menschen sein.
Unser Partner SOS Balkanroute hat eine warme Mahlzeit bezahlt, die heute vom bosnischen Roten Kreuz verteilt wird. Bereits beim Frühstück kommt es zum Durcheinander, mal stellen sich die Menschen hier an, und mal dort, Spezialpolizei mit Knüppel ziehen auf. Ein Bewohner flüstert mir zu „Wenn ihr nicht hier seid, setzen sie die Knüppel auch ein.“ Dicht gedrängt stehen die Menschen hintereinander und holen sich ihr Essen ab. Abstand halten in Covid 19 Zeiten? Ein Luxus für reichere Zonen, hier geht es um das akute Überleben. Aber immerhin, es gibt was zu essen, die Armeezelte sind zum Teil aufgebaut. Pro Zelt passen nach meiner Schätzung ca. 40 Menschen rein. Elektrisch betriebene Wärmebläser heizen die Zelte seit wenigen Stunden auf, die Zelte reichen allerdings noch nicht für alle Menschen.
Es ist klirrend kalt, mittlerweile friere ich. Allerdings habe ich feste Schuhe und eine dicke Jacke, im Gegensatz zu vielen Bewohnern. Manche haben nur Sandalen an, ich sehe nackte Füße. Was mir auffällt, sind die vielen engagierten bosnischen Aktivist*innen. Bosnien ist kein reiches Land, sondern gehört sicherlich zu den ärmsten Regionen Europas. Ein Land mit einer heftigen und grausamen jüngeren Bürgerkriegsgeschichte und einem von außen konstruierten Staatsgebilde. Wir sollten von der metropolenzentrischen Perspektive einfach mal runterkommen, und uns eher an den tollen bosnischen Aktivist*innen orientieren, und nicht glauben, wir wissen von außerhalb, wie so eine Situation zu managen wäre. Die EU lässt Bosnien im Stich, mit einem Schlamassel, das sie produziert hat. Ähnlich wie die Mittelmeerländer steht Bosnien allein da mit einer humanitären Krise, für die großteils andere reichere Staaten wie Deutschland Verantwortung tragen. Wer in Bosnien wirkungsvoll unterstützen möchte, muss und sollte mit bosnischen Strukturen kooperieren, und jede Arroganz bei Seite legen.
Der Gründer unserer Partnerorganisation SOS Balkanroute, der Rapper Kid Pex alias Petar „Pero“ Rosandić raunt mir zu: „Falls ihr einen Euro übrighabt, dann wäre der bei Anela gut aufgehoben. Ich kenne niemand, der so engagiert für die gute Sache hier kämpft wie sie“. Nach einem kurzen Gespräch sagt mir Anala „Schuhe, wir brauchen Schuhe. Ich kann hier nichts verteilen, wenn nicht gewährleistet ist, dass alle ein Paar Schuhe bekommen.“ Ich frage nach dem Preis, Anaella fängt an wild herumzutelefonieren, die Antwort: 7.500 € für 1.000 Paar Winterschuhe. Nach Rücksprache mit den meinen Vorstandkolleg*innen sage ich zu. Pero kommuniziert das auf Bosnisch an Anaella. Was jetzt folgt habe ich so nicht erwartet. Tränen kullern aus ihren Augen und sie fällt mir um den Hals. In der Folge kommt immer wieder die gleiche Szene, mit der ich schwer umgehen kann: Wenn Menschen sie nach Schuhen fragen, zeigt sie stolz auf mich: Am Montag!
Nur durch die Wahnsinnsspendenaktion vom Volksverpetzer können wir so schnell finanziell helfen. Aber es bleibt die Frage: Warum sind die Menschen immer noch so unterversorgt? Es sind nicht Millionen Menschen, die hier auf einen Schlafsack oder warme Schuhe warten, es sind gerade mal 1.000. Wie auch immer, am Montag gibt es zumindest warme Schuhe für alle, finanziert von Wir packen’s an. Wir leisten Nothilfe für Geflüchtete, schnell und ohne viel Trara. Es ändert leider nichts an der ganzen katastrophalen Lage, aber wie immer gilt: Für den einzelnen Menschen macht es einen Unterschied, warme Schuhe zu haben oder nicht. Noch 2 Tage durchhalten liebe Brüder in Lipa, dann kommen die warmen WPA Schuhe!
=> Tag 1: Unsere Ankunft in Bosnien
=> Tag 2: Die „Hunger Games“ von Velika Kladuša
=> Tag 3: Nothilfe gegen den Hunger in Velika Kladuša
=> Tag 4: Im Winterwald von Velika Kladuša